Es gibt keinen Rentenstreit. Die Große Koalition ist sich nämlich einig darin, die gesetzliche Rente weiter zu schwächen, indem sie das sogenannte Drei-Säulen-Modell verfolgt oder Verlegern die Beiträge zur Rentenversicherung erlässt. Der Ausbau privater Altersvorsorgeprogramme, wie der grandios gescheiterten Riester-Rente, steht wortwörtlich im Koalitionsvertrag.
Die aktuelle Diskussion um ein Rentenniveau, das kaum mehr als Altersarmut bedeutet, ist daher wieder nur so ein politischer Schaukampf, der die eigentlichen Probleme vernachlässigt.
Seit diese Bundesregierung im Amt ist, dürfte den allermeisten klar geworden sein, die roten sind mit den schwarzen Nullen identisch, da ändert auch der Wechsel im Bundesfinanzministerium nichts. Für die SPD könnte es kaum schlechter laufen. Den Erneuerungsprozess kauft ihnen niemand ab und in der Regierung setzt Scholz das fort, was Schäuble schon immer schlecht machte. Da muss natürlich ein Aufregerthema her. Die Rente.
Unangebrachtes Lob
Scholz schlug in der letzten Woche vor, das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2040 zu garantieren und dafür Mittel und Wege zu finden. Für seinen Vorstoß wurde Scholz sogar gelobt, etwa vom DGB. Dabei hat er das nicht verdient. Scholz weiß ja schließlich, dass es die Rentenkommission gibt, die sein Kollege Hubertus Heil vor der Sommerpause erst eingesetzt hatte. Dort sitzt übrigens auch Axel Börsch-Supan, der sich zusammen mit Bernd Raffelhüschen in der Süddeutschen Zeitung abfällig zum Vorschlag von Scholz äußerte.
Das Lob ist auch deshalb unangebracht, weil diese Große Koalition in Sachen Rente auch noch ein Millionengeschenk an die Verleger plant. Zitat von Seite 93 Koalitionsvertrag:
Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte – in Stadt und Land gleichermaßen – wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf 5 Prozent abgesenkt.
Darüber empört sich seltsamerweise bis heute niemand. Auch der SPD-Haushälter Johannes Kahrs nicht, der sagt, dass zusätzliche Einnahmequellen in der Rentenversicherung nötig seien. Dabei denke er etwa an eine Finanztransaktionssteuer oder eine zusätzliche Steuer auf große Vermögen. An eine Rückabwicklung des Unsinns, der im Koalitionsvertrag verabredet worden ist, denkt er dabei offensichtlich nicht. Er denkt auch nicht an eine Abkehr vom Irrweg private Altersvorsorge, die Unmengen von Steuermitteln verschlingt, aber kein Mehr an Sicherheit im Alter bringt. Dazu steht im Koalitionsvertrag:
Wir halten am Drei-Säulen-Modell fest und wollen in diesem Rahmen die private Altersvorsorge weiterentwickeln und gerechter gestalten. Es ist ein Dialogprozess mit der Versicherungswirtschaft anzustoßen mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts.
Der Riester-Irrsinn und die Agenda 2010 sind direkt für die Absenkung des Rentenniveaus verantwortlich. Das hält die SPD aber nicht davon ab, an privaten Altersvorsorgemodellen zulasten der gesetzlichen Rente weiter festzuhalten und diese, wie etwa beim Betriebsrentenstärkungsgesetz, zu propagieren, obwohl sich gezeigt hat, dass die Betroffenen dadurch nichts gewinnen, dafür aber Ansprüche verlieren. Verschwendet werden Versicherungsbeiträge auch für die sogenannte Mütterrente II, die im Koalitionsvertrag vereinbart und Teil des Rentenpakets ist, das Sozialminister Hubertus Heil gerade durchs Kabinett bringen will. Die Deutsche Rentenversicherung erwartet Kosten von etwa 3,5 Mrd. Euro pro Jahr. Zusammen mit Mütterrente I werden dann über 10 Mrd. Euro pro Jahr aus Beitragsgeldern zweckentfremdet.
Das übliche Spiel
All das spielt aber keine Rolle im aktuellen Rentenstreit, der keiner ist. Die Sozialdemokratie begnügt sich lediglich damit, ein deutlich zu niedriges Rentenniveau, das viele nicht vor Armut schützt, bis 2040 garantieren zu wollen. „Das ist absurd“, urteilt der Paritätische. Der Vorstoß des Bundesfinanzministers sei daher kleinmütig und lenke von dem zunehmenden Funktionsverlust der Rente ab, sagt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Vergangenen Mittwoch sollte vom Kabinett das Rentenpaket beschlossen werden. Es kam nicht dazu. Nun läuft das übliche Spiel. Die SPD jammert wie zu Zeiten der letzten Großen Koalition. „Die Union will das aber nicht. CDU und CSU belegen damit deutlich, dass sie kein Interesse an einer stabilen gesetzlichen Rente haben.“
Parteichefin Nahles schreibt weiter: „Die Menschen brauchen Sicherheit für eine verlässliche Rente, von der sie gut leben können.“ Das ist unverschämt von einer Partei, die die Renten erst gekürzt hat, um hinterher den Satz zu plakatieren: „Damit die Rente nicht klein ist, wenn die Kinder groß sind“. Die SPD will aus den Fehlern ihrer Vergangenheit nichts lernen. Sie will sie ja nicht einmal zur Kenntnis nehmen, ist sich aber schon wieder sicher, dass ihr die Wähler scharenweise folgen werden. Dabei haben die ganz sicher nicht vergessen, wer die Renten kürzte und jetzt mit viel Getöse für ein Armutsniveau kämpft und sich dabei auch noch zur Lachnummer macht, weil das wichtigste ja nicht die auskömmliche Rente, sondern der Bestand der schwarz/roten Haushaltsnull ist.
Die neoliberale Presse warnt derweil wie üblich, wahlweise vor Beitragssatzsteigerungen oder Steuererhöhungen. Über die Aufgaben, die die Rentenkasse bereits übernimmt, obwohl sie aus Steuermitteln zu bestreiten wären, wie die Mütterrente etwa, schweigt man sich aus. Man fürchtet eine Belastung der jüngeren Generation. Dabei wollen die auch mal eine sichere Rente haben und wären durchaus bereit, höhere Beiträge in der Rentenversicherung zu akzeptieren. Die Beschäftigten in Österreich zahlen 10,25 Prozent in die Rentenkasse und die Arbeitgeber 12,55 Prozent, macht zusammen 22,8 Prozent. Die Renten liegen aktuell im Schnitt um 800 Euro pro Monat höher als in Deutschland. Doch darüber wollen weder die Große Koalition noch die Medien diskutieren.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.